Die literarische Vorlage von Božena Nemcová

übersetzt von Dr. Peter Hrivnák

 

Aschenputtel

 

Es war einmal ein schönes Mädchen, das wurde Aschenputtel genannt, weil es von früh bis spät in Ruß und Schmutz alle Hausarbeiten verrichten musste. Es hatte einen Vater, der es liebte, aber eine böse Stiefmutter und eine noch schlimmere Stiefschwester, die ihr alles ersinnliche Herzeleid antat. Die Stiefmutter gab alles Schöne ihrer eigenen Tochter, alles übrige aber Aschenputtel. Ihre Tochter hatte schöne Kleider, aber Aschenputtel musste in einem Kittel aus rauhem Leinen umherlaufen. Darum konnte es auch nicht unter die Leute gehen, die Stiefmutter erlaubte es nicht, ja nicht einmal in die Kirche durfte es gehen, und von Morgen bis Abend musste es schwere Arbeit tun.
Doch Aschenputtel war immer guter Laune und klagte nicht, obwohl ihm nur Leid geschah.

Eines Tages zog der Vater zur Messe, da fragte er seine Töchter, was er ihnen aus der Stadt mitbringen sollte. Dora, die Stieftochter, wollte schöne Kleider und Perlen und Edelsteine, wie sie kein zweites Mädchen hätte. "Und was soll ich dir, mein liebes Kind mitbringen?" sprach der Vater zu Aschenputtel. "Ach, lieber Vater", antwortete Aschenputtel bescheiden, "ich wünsche mir nichts anderes als das erste Reis, das Euch auf dem Weg ins Gesicht schlägt."
"Nun, mein liebes Kind, wenn's weiter nichts ist, diese Bitte kann ich dir erfüllen", sprach der Vater. Die Stiefmutter und Dora jedoch lachten sie wegen ihrer Dummheit aus.

Der Vater zog also zur Messe, und als er das Seine erledigt hatte, kaufte er um des lieben Friedens willen der Stieftochter, was sie sich gewünscht hatte, obwohl er es lieber Aschenputtel geschenkt hätte. Der Heimweg führte ihn durch einen Wald. In Gedanken versunken, ging er dahin, sah weder nach rechts noch links, da streifte er einen Haselbusch, und ein Haselreis schlug ihm ins Gesicht. Da dachte er an seine Tochter, brach das Reis ab und nahm es mit. Als er nach Hause kam, liefen ihm die Töchter entgegen. Dora fragte ihn sogleich, was er ihr mitgebracht hätte, doch Aschenputtel war froh, dass der Vater zurückgekommen war. Sie dachte nicht mehr an ihren Wunsch, und als der Vater die schönen Kleider und die Edelsteine vergeben hatte, nahm sie das Haselreis mit solcher Freude, als wäre es aus purem Gold. "Was hast du nur für ein wertvolles Geschenk bekommen!" Die Stiefmutter und die Schwester lachten, doch Aschenputtel achtete ihrer nicht und verbarg das Reis in ihrem Kittel.

Der nächste Tag war ein Feiertag, und alle Leute gingen zur Kirche, nur Aschenputtel musste daheim bleiben. Es bat die Stiefmutter, ihr doch ein Kleid zu geben, damit es auch in die Kirche gehen könne, doch die schalt sie und sprach: "Wie, du garstiges Aschenputtel, du bist voll Staub und Schmutz und möchtest in die Kirche? Du bleibst daheim, und ich will dir eine Arbeit geben, die soll fertig sein, wenn wir nach Hause kommen", befahl die Stiefmutter und schüttete eine Schüssel Linsen in die Asche, damit Aschenputtel sie auslese.

Als die Stiefmutter und ihre Tochter fortgegangen waren, ging Aschenputtel weinend zum Brunnen, denn es wollte sich waschen, bevor die Mutter nach Hause kam. Es neigte sich zum Brunnen nieder, und da fiel ihr das Reis mit den Haselnüssen in das Wasser. Da schrie Aschenputtel vor Schreck auf und wollte gar hinterher springen. "Ach, mein liebes Reis", jammerte es, "wie bekomme ich dich wieder." Wie es so weint und um das verlorene Geschenk jammert, kommt ein Frosch aus dem Brunnen gekrochen. Er sprang auf den Brunnenrand, blickte Aschenputtel an und legte eine Haselnuss auf den Brunnenrand. "Ach, Fröschlein, mein Brüderchen, hast du mir die Haselnuss gebracht?" Aschenputtel freute sich und griff nach der Nuss. "Dir habe ich sie gebracht", antwortete der Frosch und ließ die Nuss in Aschenputtels Hand gleiten, "öffne sie, und was du drinnen findest, ist dein." Mit diesen Worten sprang er zurück in den Brunnen.

Aschenputtel öffnete die Nuss, und beinahe hätte sie sie vor Freude und Schreck wieder in den Brunnen fallen lassen. In der Nuss lag ein Sonnenkleid. "Ach, ist es schön!" rief Aschenputtel, "und es soll mir gehören. Ob ich es nur anziehen kann. O weh, ich muss ja die Arbeit verrichten, die mir die Stiefmutter aufgetragen hat!" sprach Aschenputtel traurig zu sich selbst und eilte ins Häuschen zurück. Da flatterten sechs Täubchen vom Dach herunter und ins Zimmer. Drei von ihnen klaubten die Linsen aus der Asche, die drei anderen zogen Aschenputtel an. Als es sich gewaschen und das Sonnenkleid angezogen hatte, glitzerte es, dass es eine Freude war. Die drei Täubchen hatten unterdessen alle Linsen aus der Asche gelesen, Aschenputtel dankte ihnen von Herzen, und sie setzten sich wieder aufs Dach.

"Vor mir Nebel, hinter mir Nebel, über mir die Sonne!" sprach Aschenputtel, als es aus dem Tor trat, und dann eilte es in die Kirche. Wie es in die Kirche kam, wandten sich alle Augen nach ihm um, und einer fragte den anderen: "Wer mag das sein?" Doch niemand kannte es, weder der Vater, noch die Stiefmutter, noch die Schwester. In der Kirche war auch der junge Fürst, und der ließ seine Blicke nicht von Aschenputtel. Als die Messe zu Ende war, ging er ihm nach. Doch kaum war es über die Schwelle getreten, verschwand es. Er fragte alle, wer denn die schöne Jungfrau sei, aber keiner wusste eine Antwort. Da nahm er sich vor, am nächsten Sonntag recht achtzugeben, damit sie ihm nicht wieder entkäme.Aschenputtel aber sprach vor der Kirchentür: "Vor mir Nebel, hinter mir Nebel, über mir die Sonne!" und entkam unbemerkt.

Zu Hause zog es das Sonnenkleid aus, versteckte es in die Haselnuss und trug diese unter einen Stein am Brunnen und rief in den Brunnen: "Fröschlein, mein Brüderchen, gib gut acht darauf!" Dann lief es schnell nach Hause, zog sich den groben Kittel an, band sich das graue Kopftuch um. Und als die Stiefmutter nach Hause kam, war nichts mehr zu sehen, und die Stiefmutter wunderte sich, dass Aschenputtel mit seiner Arbeit fertig war.

Dora sprach über nichts anderes als über die schöne Jungfrau in der Kirche, doch als Aschenputtel sie fragte, wer das denn gewesen sei, sprach sie: "Was geht's dich an, du liederliches Ding, kümmere du dich um deine Asche, das ist nicht deine Sache!" Aschenputtel wusste darüber mehr als alle anderen, doch es schwieg und verriet selbst dem Vater nichts, aber von da an war es nicht mehr so traurig wie früher.

Am nächsten Sonntag bat Aschenputtel wieder die Stiefmutter, sie möge es doch in die Kirche mitnehmen, doch wie immer sprach die Stiefmutter, es gehöre nicht dorthin; aber es solle Mohn aus der Gerste lesen, und damit ging sie mit ihrer Tochter zur Kirche. Kaum war die Stiefmutter aus dem Hause, lief Aschenputtel zum Brunnen, und es musste nicht einmal rufen - der Frosch saß schon auf dem Brunnenrand und hatte eine Haselnuss im Maul, die reichte er Aschenputtel und sagte, es solle die Nuss aufmachen, und was es dort fände, gehöre ihm. Dann sprang der Frosch wieder in den Brunnen, und Aschenputtel öffnete die Nuss. Es fand darin ein Mondkleid, das glitzerte und glänzte wie pures Silber. "Ach, ist das schön!" rief Aschenputtel verwundert aus, "aber wie soll ich es nur anziehen. Oder wollt ihr mir, Täubchen, meine Schwesterchen, wieder helfen?" Und die sechs Täubchen flatterten wieder vom Dach und ins Zimmer. Drei zogen Aschenputtel an, die anderen drei klaubten den Mohn aus der Gerste. Und als Aschenputtel fertig war, waren auch die drei Täubchen mit dem Mohn fertig. Aschenputtel dankte ihnen, und die Tauben flogen wieder aufs Dach. Aschenputtel machte Nebel vor sich, Nebel hinter sich und über sich die Sonne und eilte in die Kirche.

Die Leute waren schon drinnen, und der junge Fürst konnte es kaum erwarten. Er achtete nicht sehr auf die Messe. Auch Aschenputtel sah ihn an, aber nur ein klein wenig von der Seite, und als die Messe zu Ende war, lief es sofort hinaus. Der Fürst war diesmal schneller, aber was half es ihm - Aschenputtel verschwand vor seinen Augen. Er war betrübt, weil er sie nicht hatte halten können, ja gar nicht wusste, woher sie kam. Da entschloss sich der Fürst zu einer List.

Aschenputtel aber eilte nach Hause, verbarg sein Kleid in der Nuss. Die Nuss legte es unter einen zweiten Stein am Brunnen, und als die Mutter nach Hause kam, lag es wieder in der Asche. Alle sprachen über die schöne Jungfrau und den Fürsten, wie er nach ihr geforscht hätte, und Aschenputtel wurde rot wie eine Rose und dann blas wie eine Lilie, aber niemand sah es unter dem grauen Tuch, das es um seinen schönen Kopf gebunden hatte. Alle sprachen über den Fürsten und die unbekannte Jungfrau, und jeder, der kam, wusste auch nichts anderes zu erzählen. Die Stiefmutter aber zischte wie eine Schlange, Aschenputtel sei es nicht wert, als es bat, es möchte die schöne Jungrau gerne sehen.

Da kam der dritte Sonntag, und wieder bat Aschenputtel die Stiefmutter, sie möge es doch in die Kirche mitnehmen. Aber die Stiefmutter schalt und schüttete Hanfsamen in einen Bottich Asche und befahl ihm, die Samenkörner wieder auszuklauben. Aschenputtel sagte weder ja noch nein, ließ die Stiefmutter mit der Schwester weggehen, und dann ging es allein zum Brunnen, wo der Frosch schon wartete und die letzte Nuss im Maul hatte. "Öffne sie, und was du findest, das soll dir gehören; mich aber siehst du nicht mehr", sprach der Frosch. "Ach, mein liebes Fröschlein, mein Brüderchen, wie soll ich dir danken?" "Das ist dein, weil du gut zu uns gewesen bist, und darum sollst du auch glücklich werden!" Nach diesen Worten sprang der Frosch wieder in den Brunnen.

Aschenputtel öffnete die Nuss und fand darin ein Sternenkleid, das sah aus, als wäre es aus lauter Edelsteinen zusammengelegt. "O, ist es schön!" rief Aschenputtel erfreut aus, "und ihr, liebe Täubchen, meine Schwesterchen, wollt ihr mir helfen, es anzuziehen?" "Gewiss helfen wir dir, und auch die Arbeit wollen wir für dich tun, weil du so gut zu uns gewesen bist", antworteten die Täubchen und flatterten vom Dach ins Zimmer. Drei zogen Aschenputtel an, und drei lasen die Samenkörner aus der Asche. Und als Aschenputtel fertig war, waren die Samenkörner aus der Asche. Und als Aschenputtel fertig war, waren die Samenkörner fein säuberlich ausgelesen. Da dankte Aschenputtel ihnen, so lieb es es vermochte, und sprach: "Nebel vor mir, Nebel hinter mir, über mir die Sonne!" und ging aus der Tür und eilte in die Kirche.

Voller Sehnsucht wartete der Junge Fürst, voller Neugierde die Leute, ob die schöne Jungfrau wieder kommen würde, und - da, da war sie auf einmal, und niemand hatte sie kommen hören - stand vor dem Altar wie der klare Abendstern, wenn er in der Dämmerung am Himmel aufleuchtet. Der Fürst freute sich, denn diesmal sollte sie ihm nicht entkommen, und auch Aschenputtel sah ihn mehrmals an, denn es dachte, es wäre das letzte Mal, dass es ihn sehe. Er gefiel ihm, und warum auch nicht, der Fürst war jung und schön und gefiel allen Menschen. Doch auch diesmal eilte sie vor allen Leuten aus der Kirche. Aber noch schneller war der Fürst. Er trat zu der Jungfrau und bat sie, sie solle ihm doch sagen, woher sie käme und ob er sie nach Hause begleiten dürfe. Aschenputtel aber, es wusste selbst nicht, warum, schüttelte den Kopf und konnte kein einziges Wort hervorbringen. Auch als er es bat, es solle ihm doch erlauben, ihm von weitem zu folgen, schüttelte es den Kopf, ließ vor und hinter sich Nebel fallen und verschwand aus den Augen. Doch etwas ließ es dennoch zurück - ihr kleiner goldener Pantoffel war in dem Pech stecken geblieben, mit dem der Fürst die Straße vor der Kirche hatte bestreichen lassen. Aschenputtel hatte es nicht bemerkt, war in das Pech getreten - und ihr schöner zierlicher Pantoffel war hängen geblieben.

Aschenputtel ließ ihn zurück und lief in einem Pantoffel nach Hause. Kaum hatte es das Kleid ausgezogen und verborgen, kamen auch die Stiefmutter und Dora nach Hause. Aus ihrer Rede wusste nun Aschenputtel, dass der Fürst eine List gebraucht hatte, und es wäre ihm gern böse gewesen, aber sein gutes Herz ließ es nicht zu. Es hatte nur ein Paar Schuhe, das bei dem Sonnenkleid gewesen war, und das hatte es dann mit den anderen Kleidern getragen, und so tat es ihm leid, dass es nun die Kleider nicht mehr werde tragen können.

Nicht lange, so wurde bekannt, der junge Fürst gehe von Haus zu Haus, und jedes junge Mädchen müsse den Pantoffel anziehen. Und die sollte seine Frau werden, der er passte, denn der Fürst dachte nicht anders, als dass es die Rechte sein müsse. "Ob er mir nur passen wird, Mutter?" fragte Dora. "Du hast zwar eine große Zehe, mein Kind, aber das soll dich nicht anfechten. Wenn der Pantoffel dir zu klein ist, haue die Zehe ab", sprach die Mutter.

Als der Fürst schon in jedem Haus gewesen war und nirgends die Jungfrau gefunden hatte, der der Pantoffel gepasst hätte, kam er auch in die Hütte, in der Aschenputtel wohnte. Auch Aschenputtel wollte in die Kammer kommen, doch die Stiefmutter vertrieb es und versteckte es unter einen Bottich. Da zog sich Dora den Pantoffel an, und weil er zu klein war, hieb die Mutter ihr die Zehe ab. Das Mädchen verbiss den Schmerz, ging hinaus in die Kammer und setzte sich wie eine Königin an den Tisch. Der Fürst sah, dass sie den Pantoffel trug, und weil er nicht wusste, dass sie sich die Zehe abgehauen hatte, dachte er, es wäre vielleicht doch die Rechte, wenn sie auch nicht der schönen Jungfrau glich. "Andere Töchter habt Ihr nicht?" fragte er die Mutter noch einmal. "Nein, nur diese eine", antwortete die Stiefmutter, und der alte Vater hätte gern gesagt, dass er noch eine schöne Tochter habe, aber er fürchtete sich vor seiner Frau.

Da krähte der Hahn auf der Tenne: "Kikiriki, die Rechte, die ist auch hie!" Die Stiefmutter verjagte den Hahn, aber der Fürst hatte wohl verstanden, was er geschrieen hatte, und befahl dem Vater, auch die andere Tochter herbeizuschaffen. Da rief der Vater Aschenputtel unter dem Bottich hervor, doch das lief schnell zum Brunnen und sagte, dass es sich waschen wolle. Schnell öffnete es die Nuss, in der das Sonnenkleid lag. Die beiden anderen Nüsse versteckte es im Leibchen, und betrat mit einem Pantoffel an den Füßen die Kammer, wo der Fürst das versteckte Mädchen kaum erwarten konnte.

Und siehe da - die schöne Jungfrau trat ins Zimmer, und nun erkannten sie in ihr alle das Aschenputtel. Der alte Vater weinte vor Freude über sein Aschenputtel, und der Fürst trat zu ihm, nahm es an der Hand und wollte es nicht mehr von sich lassen. Dora und die Mutter wurden bleich vor Ärger, als sie das sahen und als sie hörten, wie Aschenputtel zu den schönen Kleidern gekommen war. Dora musste den Schuh ausziehen und Aschenputtel saß er wie angegossen.

Der Fürst bat sie, sie solle doch seine Frau werden, denn eine bessere Frau könnte er nie und nimmer finden. Auch Aschenputtel fand an dem schönen Fürsten Gefallen, und so gab ihnen der Vater seinen Segen. Als Aschenputtel sich in den Wagen setzte, drehte es sich noch einmal nach dem Brunnen um und dankte dem guten Fröschlein - der Hahn und die Täubchen aber kamen herbei, und der Hahn setzte sich auf den Wagen, die Täubchen flogen über der Kutsche. Auch den alten Vater nahm der Fürst mit sich, und in der Hütte blieben die böse Stiefmutter und Dora allein zurück - ohne Liebe und ohne Freude.

aus: Bozena Nemcova: Der König der Zeit; übersetzung von Dr. Peter Hrivnák; Verlag Mladé letá; Bratislava 1978; S. 80 - 86

Dieses Buch ist leider vergriffen, es scheint auch nur eine einzige Auflage in Deutschland gegeben zu haben, nämlich 1978, und das ist lange her. Man kann aber noch einige wenige Exemplare über das Zentrale Verzeichnis antiquarischer Bücher bestellen. www.zvab.com